Yoga

Geschichte - Definition - Entwicklung in Indien - Kontakte zum Abendland
Der Mensch im Mittelpunkt

Zur Geschichte des Yoga

Yoga ist in der westlichen Welt sehr bekannt geworden. Die Entwicklung zielt dahin, dass ein verantwortungsbewußt durchgeführter Unterricht auf die klassischen und für die westlichen Menschen geeigneten Übungsverfahren zurückgreift. Auf europäischer Basis wurde das Grundkonzept des klassischen Hatha-Yoga derzeit zu einem Yoga-Kursmodell geformt, das auch in die Lehrerausbildung eingeht. Wesentlicher Zweck ist die durch Übung trainierte Bewußtmachung (Sensibilisierung) körperlicher Reaktionen, die häufig als Schmerz auftreten und Mißverhältnisse in der Lebensführung des Einzelnen zeigen. Der moderne Mensch ist erheblichen Belastungen ausgesetzt, die nach Ausgleich und Gegensteuerung verlangen. Der hier entwickelte Lehrgang zeigt einen Weg, verlorengegangene Symmetrien wiederzugewinnen und hilft bei der Standortsuche der eigenen Person im Verhältnis nach innen und außen.

Definition Yoga

Yoga (von der Sanskrit-Wurzel yui=zusammenbinden, anspannen) bezeichnet die traditionelle Schulung der geistigen Konzentration in Indien. Sie geht davon aus, dass diese Konzentration durch die zugrundeliegenden Asymmetrien in der Anlage der Sinnesorgane des Körpers permanent gestört wird. Der Mensch verbraucht zuviel Energie für den Ausgleich. Durch Wiederherstellung der Symmetrie des Körpers in jedem Bereich oder Feld will sie den Menschen von der Last dieses Ausgleich-Verfahrens befreien, um ihn zur Erfahrung seiner selbst führen. Im Mittelalter entstand durch den indischen Yoga-Theoretiker Goraksanatha und seine Schule eine Verfeinerung der körperlichen Praktiken. Um den Begriff „Yoga” vor dem Mißbrauch durch Scharlatane zu schützen, nannte diese Schule ihre Konzentrationsschulung Hatha-Yoga (Hatha = Gewalt). Damit sollte angedeutet werden, dass gewaltige Anstrengungen nötig sind, wenn man ein „Virtuoser” der Konzentration werden will. Wer die Endstufe erreicht, ist Raja (sprich: radscha = König).

Geschichtliche Entwicklung in Indien

Im Laufe vieler Jahrhunderte hat sich in Indien eine Yogatradition entwickelt, die sich gegenüber anderen Wissenszweigen und Weltanschauungen sauber abzugrenzen verstand. Der Gegenstand des Yoga ist, wie ausführlich beschrieben wird, der Mensch. Jeder, der sich therapeutisch oder sonstwie mit dem Menschen als Gegenstand seiner Untersuchung beschäftigte, nannte sich früher in Indien Yogi, einen Yoga-Kundigen. Doch schon in vorbuddhistischer Zeit (also vor ca. 600 Jahren v. Chr.) sahen die Könige in Indien die Notwendigkeit, den Aspekt, unter dem der Mensch im Yoga untersucht wird, eindeutig zu bestimmen. Die Fähigkeit des Menschen, zu reflektieren, über sich nachzudenken, sich selbst zu erleben, nannten sie Atman. Dieses Sanskritwort wird gewöhnlich mit Selbst übersetzt. Die Upanischaden (altindische philosophisch-theologische Texte) der damaligen Zeit enthalten zahlreiche Prüfungsaufgaben, die die Könige den angehenden Priestern und Gelehrten stellten. Wer von diesen Kandidaten zwar den Menschen nach allen Regeln des damaligen Standes der medizinischen Wissenschaft beschreiben konnte, also wußte, wie z.B. seine Augen, Ohren, Nase usw. funktionieren, bestand die „Abschlußprüfung” nur dann, wenn er imstande war, das „Selbst” als steuernde Einheit hinter allen diesen Körperteilen wirklich zu demonstrieren.

Kontakte zum Abendland

Kontakte zwischen indischen Yogis und Philosophen des Abendlandes scheint es durch die Jahrhunderte immer gegeben zu haben. Besonders intensiv waren sie zu den Zeiten, in denen die Handelsbeziehungen zwischen Orient und Okzident am stärksten waren. (...)

Im 19. Jahrhundert nahmen die Theosophen (Theosophie= „Gottesweisheit”, Bezeichnung für religiöse Richtungen, die in meditativer Berührung mit Gott den Weltbau und Sinn des Weltgeschehens erkennen wollen.) A. Besant und C.W. Leadbeater den Kontakt mit den Yogis erneut auf. Ihr Interesse stand im Gegensatz zur herrschenden westlichen Meinung, vertreten durch Macaulay, der im Jahre 1839 in dem für Indien bedeutsamen Minutes of Education („Erlaß über die Erziehung”) erklärt: „Die ganzen Weisheitsbücher östlich des Suez können nicht ein einziges Buchregal aus einer englischen Bibliothek aufwiegen.” Die einzig ernstzunehmenden Traditionen, die sich mit Askese und Konzentrationsschulungen im Abendland seit Jahrhunderten beschäftigt hatten, waren die der religiösen Orden der katholischen Kirche und der Kirchen des Ostens. Diese unterschieden allerdings die „natürliche Mystik der heidnischen Religionen” und die „übernatürliche Mystik der Christen”. „Physiologische Wunder” wurden bei Nichtchristen nicht wie heute vom Aspekt des leib-seelischen Phänomens her untersucht, sondern galten als Ausdruck der Macht Gottes. Die Vorstellung von diesem Kampf zwischen Gott und Teufel, zwischen den Kräften des Lichts und der Finsternis im Zusammenhang mit dem politisch-ideologischen Hintergrund des Kampfes der weißen Rasse gegen alle Andershäutigen spiegelt sich in den Schriften der Theosophen wider. In der deutschen Literatur und Wissenschaft spielt Yoga eine Rolle bei Herder, Schopenhauer, C.G. Jung, H. Hesse u.a. Eine bekannte Persönlichkeit soll noch erwähnt werden, die mehr Yogi war als mancher vermutet: Mahatma Gandhi. Seine kleine Schrift Die Wahrheit ist Gott zeigt ihn als Meister der Technik der Reflexion in den kleinen und großen Geschehnissen des Alltags. Im Umgang mit seinem Körper schöpfte er aus dem traditionellen Yoga.

Im Mittelpunkt steht der Mensch



Jede Wissenschaft wird durch ihren Gegenstand, ferner durch den Aspekt, unter welchem dieser Gegenstand betrachtet wird und durch die Methoden, die dazu verwendet werden, beschrieben. Der Gegenstand des Yoga ist der Mensch, der unter dem Aspekt betrachtet wird, dass er in der Lage ist, sich selbst zu erleben. Da Yoga den Menschen als Ganzes und nicht sein Gehirn oder seine Nerven zum Objekt seiner Untersuchungen macht, kann er nur Methoden anwenden, die stets den ganzen Menschen und nicht Teile von ihm betrachten. Das Gehirn spielt sozusagen die Rolle des natürlichen Beobachters innerkörperlicher Vorgänge. Jede Maschine (moderne medizinische Hilfsgeräte), die an den Körper angeschlossen werden, sind künstliche Beobachter mit beschränktem Aufgabenbereich. Das Gehirn ist durch einen Gerätepark zur Messung und Beobachtung der körperlichen Situation nicht ersetzbar und zwar aus folgenden Gründen: Dieser Gerätepark müßte in den Prozeß der innerkörperlichen Verarbeitung von Reizen eingebaut werden. Dies ist noch nicht möglich. Ein Gerätepark mißt lediglich das jeweilige Ergebnis solcher Verarbeitungen. Rückwirkend schließt man durch Theoriebildung auf die Ursachen. Eine direkte Beobachtung des Zusammenhangs ist nicht möglich und Fehldeutungen daher nicht vermeidbar. Das subjektive Erlebnis der eigenen Innenwelt ist der tragende Grund für das Weiterleben jedes Individuums. Wollte man es durch Krücken (Gerät der Beobachtung) ersetzen, dann würde man die Quelle des gesamten Lebensprozesses abblocken. Die Methode des Yoga geht von der Registrierfähigkeit und den Kombinationsmöglichkeiten des Gehirns aus und trainiert diese normalerweise unbewußten Fähigkeiten. Subjektive (sich auf einen selbst beziehende) Meldungen z.B. "Ich fühle mich wohl/unwohl" werden durch Yoga-Methoden registriert und zur Klärung und Steuerung des Ablaufs von Vorgängen verwendet, die zu diesen Ergebnissen führen.

Jeder Mensch nimmt innerhalb einer Gruppe und Gesellschaft eine bestimmte Stellung ein. Auf allen Gebieten, sei es geistig und kulturell, ist eine Leistungsfähigkeit vergleichbar und bestimmbar. Jeder Mensch kann, wenn er sich genau beobachtet, die Grenze seiner Leistungsfähigkeit erkennen. Jeder Mensch verarbeitet die Impulse aus der Umwelt, die ihm die Grenzen seiner Person und Leistungsfähigkeit im Vergleich zu anderen Menschen zeigen, unterschiedlich und häufig ungenau. Yoga-Training kann die Fähigkeit üben, die eigene Stellung in der Welt subjektiv zu empfinden und zu akzeptieren. Akzeptieren und Erkennen der eigenen Möglichkeiten kann Leistungsstreß mindern bzw. verhindern, gleichzeitig aber Verzagtheit abbauen helfen und neuen Antrieb geben.

Wie kann Yoga dem modernen Menschen helfen, sein Gleichgewicht zu bewahren und seinen Standort zu kennen?

In Yoga kommt es darauf an, das Maß der Schwierigkeit der Verarbeitung von Impulsen als Erlebtes für einen selbst, als die eigene Grenze zu akzeptieren. Das ist das Besondere an der Yoga-Methode: Im Gegensatz zu den objektiven Wissenschaften bleibt es bei der Beobachtung der subjektiven Empfindungen bei der Feststellung des „Zustandes meiner Welt”. Wir können uns jeweils mit anderen vergleichen und unser Verhalten erklären und kontrollieren mit Hilfe von Wissenschaften wie Psychologie und Pädagogik. Doch in Yoga betrachten wir das Einmalige, das wir darstellen, also unsere Person. Der Verallgemeinerungsprozeß geschieht daher auch nicht anhand der Beobachtung mit objektiven Kriterien. Man fragt nicht primär, ob das, was wir feststellen, der „Wahrheit” entspricht, sondern ob wir Schmerzen dabei empfinden oder nicht. Wir werden also nicht in einen Denkprozeß, sondern in einen Empfindungsprozeß gestellt. Wir werden, um unseren eigenen Zustand zu erkennen, in Yoga nicht mit neuen Leistungsforderungen konfrontiert, sondern durch bestimmte Überlegungen und Übungen in die Rolle des entspannten Beobachters geführt, der sich innerhalb der Grenzen seiner Person sozusagen als neutraler Beobachter umsieht. Sie können sich vorstellen, dass ein mit Pflichten belasteter Mensch, von dem man vielleicht auch noch ständig überhöhte Leistungen verlangt, durch „Ausflüge” in den Bereich seiner eigenen Person und Empfindungen durch Übungen wieder Grenzen erkennt, die ihn aus dem Zustand überhöhter Leistungsbereitschaft auf ein seinen Fähigkeiten entsprechendes Leistungsmaß zurückführt. Jeder Mensch mit privaten oder beruflichen Pflichten wird die Stadien unausgewogener Zustände erlebt und vielleicht unbewußt empfunden haben. Ein nicht auf Dauer gewonnener Ausgleich führt zu Schmerz. Nur die Kenntnis der Ursachen und die Fähigkeit, sich selbst zu empfinden, kann Bewußtsein und damit eine Schmerzlinderung herbeiführen.

Zusammenfassung

Yoga ist eine Wissenschaft der Sensibilisierung des Menschen. Durch Anwendungen der Yoga-Methoden lernt der Mensch, sich selbst zu beobachten und seine Empfindungen unmittelbar zu akzeptieren.

Die Methoden des Yoga wollen keine Heilerfolge liefern. Therapie steht nicht im Vordergrund. Yoga-Übungen führen zur Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit. In Verbindung damit können auch Krankheitssymptome gelindert oder beseitigt werden, jedoch nicht als Ziel der Übungen.

Yoga ist eine Wissenschaft, die den Menschen zum Mittelpunkt hat und Trainingsmethoden anbietet, die die Fähigkeiten zur Selbstbeobachtung schulen. Hier liegt der Berührungspunkt des Yoga-Unterrichts für indische Jugendliche und europäische Erwachsene. Diese Methode ist nicht identisch mit Konditionstrainingsprogrammen, da sie ausschließlich die Bewußtwerdung des Menschen fördern will.

(aus: Yoga-Sensibilitätstraining für Erwachsene, Rocque Lobo, Hueber-Holzmann Verlag München, 1982, ISBN 3-928772-08-2, Seite18-26)

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